INTERVIEW

VIER SCHLÜSSEL FÜR EIN GESÜNDERES LEBEN:
DAS METABOLISCHE SYNDROM IM FOKUS

Wer Herz, Gefäße und Stoffwechsel fit hält, hat gute Chancen auf Wohlbefinden und Vitalität bis ins hohe Alter. Doch gerade, wenn vier Faktoren zusammenkommen, steigt das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle stark an: Übergewicht, Bluthochdruck, Cholesterin- und Fettstoffwechselstörungen und ein hoher Blutzucker.

Diese Kombination nennen Mediziner das “Metabolische Syndrom”. Doch gegen diese Vier gibt es viel, was man - vorbeugend und therapeutisch - tun kann. 

Prof. Dr. Andreas Michalsen und Dr. med. Rainer Matejka beantworten dazu Fragen.

PROF. DR. ANDREAS MICHALSEN

Professor für Klinische Naturheilkunde der Charité Berlin und Chefarzt der Abteilung Innere Medizin und Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus Berlin-Wannsee.

Weitere Informationen zu Herrn Prof. Dr. Michalsen finden Sie am Ende des Interviews.

DR. MED. RAINER MATEJKA

Fastenarzt, Facharzt für Allgemeinmedizin, Naturheilverfahren und biologische Medizin. Von 2016 bis 2024 Chefarzt der Malteser Klinik von Weckbecker in Bad Brückenau.

Weitere Informationen zu Herrn Dr. Matejka finden Sie am Ende des Interviews.

Gerade Bluthochdruck, Übergewicht oder das metabolische Syndrom können erfolgreicher behandelt werden als allein mit Medikamenten. Warum?

DR. MED. RAINER MATEJKA:

Das metabolische Syndrom hat erheblich mit dem Lebensstil zu tun. In der Zeit des Mangels unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg war es so gut wie unbekannt oder kam nur ganz selten vor. Heute wissen wir, vor allem die Dreier-Kombination von Bewegungsmangel, Stress und Fehlernährung ist Wegbereiter des metabolischen Syndroms. Dementsprechend steht beispielsweise in den Leitlinien der deutschen und amerikanischen diabetologischen Gesellschaft die Lebensstiländerung an erster Stelle der Therapie. Nicht immer kann man damit jedoch alle Symptome beseitigen, zumal der Lebensstil oft auch durch Sachzwänge gekennzeichnet ist. Meist  ist es aber durch Lebensstiländerungen möglich, ein Fortschreiten des Beschwerdebildes und die Zahl der Medikamente zu reduzieren.


PROF. DR. ANDREAS MICHALSEN:

Richtig. Das metabolische Syndrom und die Komponenten Bluthochdruck, Diabetes Typ 2, Übergewicht und Fettstoffwechselstörung sind keine oder nur zu einem ganz geringen Anteil genetisch bedingte Erkrankungen. Es sind zu etwa 80-90% Folgen unseres nicht mehr „artgerechten“ Lebensstils. Das macht auch verständlich, warum die vielen eingesetzten Medikamente, von Antihypertensiva bis zu Statinen, von Antidiabetika bis zu den ganz neuen Gewichtsabnahme-Substanzen die Erkrankungen nicht heilen, sondern nur helfen, sie symptomatisch zu kontrollieren. Wenn wir diesen Erkrankungen tatsächlich vorbeugen oder sie gar heilen wollen, dann kommen wir an Lebensstil-Medizin, also an naturheilkundlichen Behandlungsmethoden nicht vorbei. Medikamente haben also sicher ihren Platz, zur Wurzel des Problems kommen wir aber nur mit den Methoden der Lebensstil-Therapie.

 

Welche Lebensstil-Änderungen und Therapien erweisen sich bei diesen Erkrankungen als nachweislich wirksam? Welchen Stellenwert hat das Heilfasten dabei?

DR. MED. RAINER MATEJKA:

Hinsichtlich der Ernährung ist vor allem die Reduktion oder Vermeidung isolierter Kohlenhydrate („Zucker“) besonders wichtig, ferner die Einschränkung tierischer Fettsäuren (insbesondere entzündungstreibender Fettsäuren wie der Arachidonsäure in rotem Fleisch und Wurstwaren). Bewährt hat sich demnach die Vermeidung von Fertignahrungsmitteln und eine gewisse Abkehr von der sogenannten westlichen Ernährungsform hin zu einer mediterranen Kost mit hohem Anteil an frischem Gemüse, hochwertigen pflanzlichen Fetten, und Omega-3-Fetten (Fischöl) bei gleichzeitiger Einschränkung von rotem Fleisch. Bewegung muss kein Leistungssport sein, im Gegenteil: schon ein 30-minütiger täglicher zügiger Spaziergang bringt signifikante Effekte. Wenn dies nicht möglich ist, reichen auch 3,5 Stunden entsprechender Bewegung oder leichtem Sport in der Woche aus. Bewegung und Sport verbessern den Stoffwechsel insgesamt, insbesondere den Blutzucker- und Fettstoffwechsel, regulieren den Blutdruck, verbessern die Durchblutung, stärken das Immunsystem und haben sogar antidepressive Wirkungen. 

Heilfasten nach der Buchinger-Methode – also das Fasten mit Säften und Gemüsebrühen – hat sich seit Jahrzehnten in der Erfahrungsmedizin bewährt, in den letzten Jahren zunehmend von Studien untermauert. Ein großer Vorteil: Heilfasten wirkt, ähnlich wie Ernährung und Bewegung, fachübergreifend. Auch das metabolische Syndrom ist letztendlich ein fachübergreifendes Problem, oft begleitet von orthopädischen Erkrankungsbildern und psychovegetativer Erschöpfung.


PROF. DR. ANDREAS MICHALSEN:

Studien belegen, dass durch sieben bis zehn Tage modifiziertes Fasten eines der größten Probleme des metabolischen Syndroms, die Fettleber, enorm verbessert werden kann. Auch für das Intervallfasten gibt es solche Belege. Hinsichtlich des Bluthochdrucks kann man beim Fasten sprichwörtlich zusehen, wie der Blutdruck fällt. Eine der ersten Dinge, die man als Fastenarzt lernt ist, dass man zu Beginn des Fastens die Bluthochdruckmedikation absetzen oder zumindest stark reduzieren muss, um einen zu niedrigen Blutdruck zu vermeiden. Das illustriert auf klare Weise, wie stark der blutdrucksenkende Effekt des Fastens ist. Faszinierend ist aber auch, dass dieser Effekt nicht mit Beendigung des Fastens endet, es gibt durchaus eine nachhaltige Wirkung. Wir erklären uns das mit einer erhöhten Sensitivität der Blutdruckrezeptoren durch die Fastentherapie. Bluthochdruck, Fettleber, Diabetes Typ 2 lassen sich also hervorragend mit Heilfasten behandeln.

Danach besteht auch ein sehr gutes Zeitfenster für eine Änderung der Ernährungsgewohnheiten. Langfristig ist die richtige Ernährung ungemein wichtig. Hier muss teilweise individuell vorgegangen werden. Basis ist sicher eine pflanzenbasierte vollwertige Ernährung, manchmal wird man aber eher in Richtung low-carb gehen oder manchmal in low-fat. Das hängt von der Situation des Patienten, der Patientin ab. Bewegung ist ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Lebensstil-Medizin. Neuere Daten zeigen allerdings, dass der Ernährung, dazu zähle ich auch die Fastentherapie, eine noch größere Bedeutung zukommt. Für mich sehr relevant ist auch die Stressreduktion, viele Menschen bekommen ihre Ernährungsgewohnheiten auch wegen zu viel Stress im Alltag nicht in den Griff. Wir vermitteln daher unseren Patientinnen und Patienten praktikable Methoden, um gegen den Stress einzuwirken, das kann Meditation oder Yoga, aber auch autogenes Training, Qigong oder anderes mehr sein.

Kann Heilfasten bei bestimmten Patient*innen auch kontraproduktiv sein?

DR. MED. RAINER MATEJKA:

Da das metabolische Syndrom typischerweise bei eher pyknischen oder athletisch-pyknischen Menschen auftritt, ist das Heilfasten in der Regel immer eine gute Grundlage. Allerdings muss der Patient auch darauf eingestellt sein. Heilfasten führt man nicht „mal so eben“ - „von jetzt auf gleich“ durch, sondern man sollte sich mental darauf vorbereiten. Erfahrene Faster haben es in dieser Hinsicht natürlich leichter.

Kontraproduktiv ist Fasten bei allen Formen ausgeprägter Asthenie (oft an der Grenze zum Untergewicht), allgemeiner körperlicher Schwäche, höherem Alter mit kognitiven Defiziten oder auch Koordinationsstörungen. Das sind aber Kriterien, die in der Regel auf Patienten mit metabolischem Syndrom gerade nicht zutreffen.


PROF. DR. ANDREAS MICHALSEN:

Besteht eine Essstörung wie Bulimie oder eine sog. Binge-Essstörung kann Fasten die Problematik verstärken. Auch bei symptomatischen Gallensteinen und Gicht ist Fasten meist nicht als Therapie geeignet, oder wenn, dann nur unter guter medizinischer Betreuung und Behandlung. Schließlich muss man bei schwerem Übergewicht abwägen. Hier kann es manchmal sinnvoller sein in einer Therapie oder Kurbehandlung einen guten Essensrhythmus mit einer gesunden, vollwertigen Ernährung einzuüben als zu fasten. Andererseits kann Fasten auch der ideale Start für eine Ernährungsumstellung sein, hier muss also individuell vorgegangen werden.

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ZUM ANGEBOT

 

Welche Maßnahmen sollten in einer Klinik erfolgen, welche kann man auch zu Hause erfolgreich anwenden?

DR. MED. RAINER MATEJKA:

Der bekannte Fastenarzt Hellmuth Lützner sprach einmal vom vorbeugenden Fasten für Gesunde, welches ambulant erfolgen kann und vom stationären Heilfasten des bereits Erkrankten. Beim metabolischen Syndrom, insbesondere bei einem schon bestehenden Diabetes der medikamentös behandelt wird und auch bei struktureller Herzbeteiligung ist der stationäre Aufenthalt nachdrücklich indiziert. Zeigen sich erst beginnende Symptome mit Übergewicht, einem grenzwertigen Blutdruck und ansonsten einer stabilen Herz-Kreislaufsituation, kann bei guter Betreuung auch einmal eine ambulante Maßnahme erwogen werden. Verfahren wie Intervallfasten können sicherlich recht unproblematisch zu Hause durchgeführt werden.

Allerdings sollte bei Diabetikern, die beispielsweise auf Insulin oder antidiabetische Medikamente eingestellt sind, immer eine enge ärztliche Begleitung erfolgen. Ziel ist es aber gerade bei Diabetes, den Medikamentenbedarf und auch den Insulinbedarf so weit wie möglich herunterzufahren. Bei konsequenter Durchführung entsprechender Maßnahmen, sollten mittelfristig 75% aller Typ 2-Diabetiker ohne Medikation auskommen können. 
 

PROF. DR. ANDREAS MICHALSEN:

Gerade wenn Medikamente eingenommen werden müssen und mehrere Diagnosen im Raum stehen, ist das Fasten in einer Klinik das ideale Setting. Erfahrene Faster können mit der Zeit die Fastentherapie auch zuhause durchführen, aber zu Beginn empfehle ich eine gute ärztliche Betreuung im klinischen Umfeld. Letztlich ist es der Vorteil der Naturheilkunde und der Lebensstil-Medizin, dass man die meisten Verfahren auch selbstwirksam zuhause im Alltag durchführen und weiterführen kann.

Für Meditation oder Yoga benötigt man nur zwei Quadratmeter im Wohnzimmer, in der eigenen Küche entscheidet sich die Ernährung, Fasten- wie schon gesagt- lässt sich auch zuhause integrieren. Für die Bewegung zählt sowieso das langfristige Bewegungskonzept im Alltag. Hinsichtlich des Fastens empfehle ich inzwischen dieses mehrmals pro Jahr durchzuführen. Ideal wäre z.B. einmal in einer Klinik und dann noch weitere ein- bis zweimal zuhause. So kann immer wieder ärztlich nachgebessert und überprüft werden.

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